Unsere neuen Nachbarn sind Flüchtlinge
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10. Januar 2017
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Von Melanie Schott
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In unserer Nachbarschaft stand ein Haus längere Zeit leer. Wir wussten, dass es von der Gemeinde angemietet war, getan hat sich lange nichts.
Und plötzlich waren sie da! 3 Familien: 6 Erwachsene und siebzehn Kinder. An einem Freitagnachmittag im August. Der Hausmeister der Gemeinde half so gut er konnte, die paar Armseligkeiten zu versorgen. Das Notwendigste zum Haus wurde erklärt und das war´s dann erst mal.
Nichts zu essen? Nichts zu Trinken? Die Nachbarn wurden aufmerksam, die ersten Carepakete ins Haus getragen. „Hast Du mir ….?“ war einer der am häufigsten gehörten Sätze an diesem Wochenende.
Dann am Sonntag der Beschluss: wir brauchen Leute, die sich verantwortlich zeigen für die Familien, also Paten. Der örtliche Flüchtlingshilfe-Verein half so gut es ging. Tatsächlich waren Mitte der ersten Woche dann Paten gefunden.
Und jetzt? Sprachschwierigkeiten! Und die Erkenntnis, dass nicht alle Erwachsenen lesen und schreiben können. Da hilft auch die in arabischer Schrift verfasste Hausordnung nicht so wirklich. Und Fragen: Wo ist ein Arzt? Auf welcher Bank gibt es Geld? Wir haben noch keinen Ausweis für das Baby und keinen Kinderwagen!
Zunächst sind noch Ferien. Die größeren Kinder sind im ganzen Dorf unterwegs und finden die Plätze, wo die anderen Kinder sind. Regeln müssen her: Man schmeißt Fahrräder nicht einfach hin, man haut sich nicht mit den anderen Kindern, man sagt keine schlimmen Wörter……
Kaum kennen wir uns ein wenig, der nächste Kraftakt: wer kommt in den Kindergarten, wer in die Schule? Elternabende müssen besucht werden, Kinder müssen im Kindergarten eingewöhnt werden. Tausend Dinge sind zu besorgen. Vom Lineal übers Vokabelheft zu den Kindergartenhausschuhen. Wir Paten sind erst mal sehr gefordert – vieles ist Neuland!! Alles kostet richtig viel Geld! Wo bekommt man Zuschüsse und wie?
Und warum vertragen die sich nicht? Da wir nun wissen, dass es syrische Syrer, syrische Kurden und Kosovo-Albaner sind, können wir uns das explosive Hausklima erklären.
Weitere Regeln müssen her: Wer macht wann was? Wer ist der Verantwortliche für den Müll, für den Hausflur, für den Rasen hinterm Haus?
Die Kinder wissen nun, dass sie in die Schule laufen müssen, solange die Fahrradprüfung nicht gemacht ist. Die Eltern wissen, dass die Kindergartenkinder abgeholt werden müssen und zwar von Erwachsenen. Die Sprachkurse für die Eltern haben begonnen und die Wege sind bekannt.
Trotz aller Schwierigkeiten haben sich die Hausbewohner mit den Nachbarn arrangiert. Es ist faszinierend zu sehen, wer alles mithilft, dass das Miteinander gelingt.
Der einen Familie droht die Abschiebung. Die Familie im Obergeschoss kann einfach nicht mit den anderen. Trotzdem sehen wir, dass sich so was wie Alltag einstellt. Wenn alles gut läuft, werden die Familien bis zu 5 Jahre unsere Nachbarn sein.
Mit etwas Anstrengung werden die Väter Arbeit finden und die Kinder in der Schule mitkommen. Wir werden den Mamas zeigen, dass sie auch alleine einkaufen können und den Jungs beibringen, auch auf Frauen zu hören. Für die Mädchen hoffen wir, dass sie in der Schule und im Dorf ihren Weg finden zwischen der mitgebrachten Tradition und unserer Welt. Also strengen wir uns alle an, denn schließlich wächst hier die nächste Generation in unserem Land heran!
Helga Pfahler